Entschlüsselt

Jeder braucht ihn, jeder hat zumindest einen und doch

sind wir ständig auf der Suche nach ihm: Der Schlüssel

Ein Schlüssel ist mehr als nur ein simpler Gegenstand. Er öffnet Türen und schließt sie. Er ist auch Sinnbild für Sicherheit, Geheimnis, Freiheit, Verschwiegenheit oder Geschicklichkeit.


 


Symbol der Wunscherfüllung


Im Gegensatz zu Mauern ermöglichen es Türen, Räume nach Belieben zu trennen oder zu verbinden. Eine verschlossene Tür ist gleichermaßen unüberwindbar wie eine Wand und so konzentriert sich im Schlüssel die Macht, diesen Zustand zu ändern. Im Schlüssel als Symbol liegt die Hoffnung, sich jeden Wunsch erfüllen zu können, wenn man nur den richtigen besitzt. Aus gleichem Grund ist es uns wichtig, Schlüsselqualifikationen und Schlüsselpositionen zu erlangen. Ebenso steigt die Verlockung, sie uns unrechtmäßig anzueignen – nicht nur mittels einer geschickten Schlüsselfälschung, um z. B. einen Tresor zu plündern.


 


Symbol des Öffnens


Je nachdem auf welcher Seite wir stehen, erwarten wir vom Schlüssel, dass er Verschlossenes öffnet oder freien Zugriff verhindert. Der heilige Petrus in der christlichen Tradition ist im Besitz der Schlüssel zum Himmelreich. Er erfüllt oder verweigert den Zutritt, je nachdem, ob der menschlichen Seele ihre Sünden vergeben werden oder nicht. Dieser Schlüssel wird auf dem päpstlichen Wappen dargestellt.


Der Notenschlüssel öffnet den Zugang zur Musik, damit die verschlüsselte Notenschrift in Töne verwandelt werden kann.


Beim Ritual der Mundöffnung im Begräbniskult der alten Ägypter berührt der Lebensschlüssel Ankh Mund, Nase und Augen der Mumie, damit der Ka des Verstorbenen (sein ätherisches Doppel) im Jenseits handeln kann, wozu er sehen, sprechen und atmen können muss.


Die reine Liebe ist der Schlüssel zu einem verschlossenen Herzen.



Der Schlüssel zur Freiheit wird von all jenen ersehnt, die gefesselt oder eingesperrt sind. Auch mentale Blockaden oder Denkmuster können die geistige Freiheit verwehren. Dann öffnet vielleicht ein Schlüsselerlebnis unsere Augen oder ein Buch wird zum Schlüssel für den Weg zur Erkenntnis.


Der Schraubenschlüssel symbolisiert die Werkstatt, einen Ort, um durch die Verbindung von Kreativität und praktischen Fähigkeiten Probleme zu lösen.


 


Symbol des Verschließens


Kostbare und wertvolle Dinge werden durch ein Schloss gesichert oder in Truhen und hinter Türen verschlossen. Schatzmeister, Schlüsseldienst oder Security-Service wählen den Schlüssel als Symbol oder Logo.


Geheimnisse und Lehren in den Mysterienkulten wurden den Aspiranten nur nach moralischen Prüfungen anvertraut. Die Freimaurer verwenden unterschiedliche Schlüsseldarstellungen, um symbolisch die Grade dieser Einweihung und dem damit verbundenen Wissen zu unterscheiden. Die Schlüssel mahnen zur Verschwiegenheit, den Mund verschlossen zu halten. In der Oper „Die Zauberflöte“ wird Papageno der Mund als Warnung verschlossen, nie mehr durch Lügen zu prahlen.


Als Zeichen ewiger Verbundenheit hängen Verliebte oft ein Vorhängeschloss an öffentliche Gitterstäbe und werfen die Schlüssel fort, damit niemand ihre verbundenen Herzen trennen kann.


 


Symbol der Macht


Die Übergabe eines Schlüssels ist ein Symbol, Vertrauen oder Unterordnung auszudrücken. Bei einer erfolgreichen Eroberung wurden in früheren Zeiten dem König die Stadtschlüssel überreicht. Ein Zeichen, dass sich die Stadtbewohner dem königlichen Schutz anvertrauen, aber auch ihre Eigenständigkeit aufgeben mussten. Diese symbolische Übergabe der Schlüsselgewalt gibt es noch im Karneval in der Weiberfastnacht.


In Märchen findet der Held Schlüssel, die ihm auf seinem Weg weiter helfen. Oder er muss der Versuchung widerstehen, verbotene Räume zu betreten. Schlüssel, fehlende Schlüssel und die Suche nach passenden Schlüsseln zeigen die Stufen des Entwicklungsweges.


 


Kunstfertige Herstellung


Schlüssel und Schloss sind ab der Zeit der Sumerer und alten Ägypter bekannt. Sie bilden eine Funktionseinheit. Der Schlüssel hat im oberen Teil einen Griff, im runden oder flachen Stab ist der Bart mit einer einzigartigen Anordnung von Zähnen, Zacken, Rillen, Mulden. Für den Bart gibt es im Inneren des Schlosses ein exaktes Gegenstück. Nur wenn beide genau zusammenpassen, lässt sich der Riegel bewegen, um das Schloss auf- oder zuzusperren. Diese Mechanik war ein Glanzstück der Schmiedekunst und somit war früher ein gutes Schloss sehr kostbar. Wertvolle Bücher, die nicht von jedem gelesen werden sollten, wurden mit Schlössern versperrt. Die Schlüssel waren wie individuelle Schmuckstücke Einzelanfertigungen und dementsprechend kunstvoll verziert.


Auch digitale Schlüssel und Verschlüsselungen nutzen das Grundprinzip von Schlüssel und passendem Gegenstück, um den verschlossenen Zugang zu entsperren. Das Passwort als Schlüssel hat sein Vorbild in Parolen und Geheimwörtern, die nur den Zugangsberechtigten bekannt waren. Der mechanische Schlüssel und sein Schloss waren ein technischer Ersatz, wenn Wachen nicht eingesetzt werden konnten.


Wenn vom Schlüssel zur Weisheit oder vom Schlüssel zum Herzen die Rede ist, sind dies Schlüssel, die nicht gekauft oder geraubt werden können. Sie müssen erworben werden, indem wir sie durch unsere eigenen Verhaltensweisen und Tugenden schmieden.


Es kommt auf den Standpunkt an, ob der Zustand des Versperrens oder die Tätigkeit des Aufschließens im Symbol wahrgenommen wird.



Fragen Sie sich doch einmal: Was ist Ihr erster Gedanke, wenn Sie plötzlich einen (unbekannten) Schlüssel in die Hand bekommen?



 


Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 161, Juli 2020 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht, Autor: Astrid Ringe