Klimawandel - außen heiß und innen kalt

Klimawandel

Während die ganze Welt vom ökologischen Klimawandel spricht, von Erderwärmung und 2-Grad-Ziel, findet zur selben Zeit ein sozial-gesellschaftlicher Klimawandel in genau entgegengesetzter Richtung statt, ein Prozess der Abkühlung menschlicher Beziehungen, schleichend und wenig greifbar.

Wie hängen die beiden Klimaprozesse zusammen? Bedingt der eine den anderen? Und vor allem, sind die beiden noch zu stoppen oder sogar umzukehren?


Der ökologische Klimawandel


Wohl kaum ein wissenschaftliches Thema wird öffentlich so breit diskutiert wie der Klimawandel. Selbst notorische Zweifler, die ihn bisher geleugnet oder als natürliches Phänomen abgetan haben, verstummen unter der drückenden Beweislast der wissenschaftlichen Forschungen der letzten 30 Jahre. „Der Klimawandel ist real und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil vom Menschen verursacht“, so Experten des IPCC, des Weltklimarates.


Doch was steht hinter dem Schlagwort Klimawandel? Im Grunde ein völlig natürlicher Prozess. Die Sonne schickt Strahlung auf die Erde, die zurück ins All reflektiert wird. In der Atmosphäre, die wie das Glasdach eines Treibhauses funktioniert, wird Wärme gespeichert, durch die Leben auf der Erde überhaupt erst möglich wird. Doch seit der Industrialisierung schickt der Mensch zu viel Treibhausgase, wie CO2, Methan und FCKW in die Atmosphäre und zu viel Wärme wird gespeichert. Dadurch hat sich die Erdoberfläche seit Ende des 19. Jahrhunderts um nahezu 1 Grad Celsius erwärmt. Plastisch dargestellt in der Grafik des sogenannten „Hockey Sticks“. Demzufolge verlief die Temperaturkurve 900 Jahre lang relativ geradlinig, bog aber im letzten Jahrhundert, wie bei einem Hockeyschläger, steil nach oben.



„Das große Neue ist, dass der Klimawandel jetzt beobachtbar passiert. Das, was lange schon irgendwo vorhergesehen wurde, ist jetzt voll in Gang gekommen," so der Innsbrucker Klimatologe Georg Kaser. Dass er damit Recht hat, zeigen die Fakten, die schon jetzt ein wenig erfreuliches Szenario für die Zukunft erahnen lassen:



  • Der Meeresspiegel steigt im weltweiten Durchschnitt um 3 mm pro Jahr an


  • Selbst bei Einhaltung des 2-Grad-Ziels ist der Lebensraum von 130 Millionen Menschen gefährdet


  • Das Meereis der Arktis schwindet und führt zu einem Rückgang der Schollenbedeckung von 4 % pro Jahrzehnt


  • Die Gletscher schrumpfen, vor allem in Patagonien, Alaska und Kanada


Doch reichen diese Szenarien aus, um uns wirklich in Bewegung zu setzen?


Der gesellschaftliche Klimawandel


Parallel zum ökologischen Klimawandel findet in unseren menschlichen Beziehungen exakt das Gegenteil statt: eine Abkühlung bis hin zur Vereisung des Miteinanders im öffentlich-gesellschaftlichen Leben genauso wie im persönlichen. Längst haben wir uns gewöhnt an die wachsende Zahl von Bettlern in unseren Straßen. Und es schockiert uns nicht mehr, dass auch bei uns Flüchtlingskinder in Pappkartons schlafen. Wir haben uns auch daran gewöhnt, dass unsere Beziehungen immer austauschbarer werden. Und wir haben uns daran gewöhnt, alleine zu leben, unsere Entscheidungen alleine zu treffen, unsere Träume genauso wie unsere Sorgen mit uns selber auszumachen. Unsere Individualität ist ein Lebensprinzip geworden, das gefährlich nahe an der Vereinzelung und Isolation liegt. Selbstverwirklichung ist ein anderes Schlagwort, das gefährlich nahe an Egozentrismus und Egoismus liegt. In unserer westlichen Welt ist es die Leistung des Einzelnen, die zählt, was zur Unfähigkeit zu einem normalen Zusammenleben führt. Ein unreflektierter Narzissmus hat sich breit gemacht, der alle Aufrufe zu Veränderungen konsequent ignoriert, wie der deutsche Philosoph Michael Hampe diagnostiziert. 


Doch der soziale Klimawandel ist viel schwerer greifbar, denn es gibt keine Temperaturskala der Empathie und des Mitgefühls, genausowenig wie die Tragfähigkeit des gesellschaftlichen Zusammenhalts gemessen werden kann. Es bleibt ein dumpfes, indifferentes Gefühl, das nur manchmal bestätigt wird durch Alarmmeldungen:



  • Laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) sind Depressionen in den westlichen Industriestaaten die Nummer 1 der Volkskrankheiten.


  • In den letzten 10 Jahren sind in Österreich die Krankenstandstage aufgrund von Burnout um das 18-fache gestiegen.



Aber sind das ausreichend Beweise, um diesen sozialen Klimawandel ernst zu nehmen, so ernst zu nehmen wie den ökologischen?


Ist das Klima noch zu retten?


Die Meinungen zu einer Umkehrung der aktuellen Entwicklungen sind geteilt. Für viele ist der magische Punkt längst überschritten und der Kollaps nur noch eine Frage der Zeit. Der britische Naturwissenschaftler und Vordenker der Gaia-Theorie James Lovelock vergleicht mit historischen Beispielen untergegangener Kulturen und hält einen fast vollständigen Kollaps unserer Zivilisation bis 2.100 nicht nur für realistisch, sondern unausweichlich. Auch der deutsche Ökonom und Post-Wachstums – Vorkämpfer Niko Paech zielt in eine ähnliche Richtung, wenn er sagt „Unbegrenztes Wachstum in einem begrenzten Raum führt immer zum Kollaps“. Doch für ihn muss der Kollaps nicht Schicksal sein. Vielmehr denkt er über Alternativen der Entschleunigung und einer neuen Bescheidenheit nach, die letztlich in unserer Hand liegen. Und tatsächlich, es gibt ermutigende Beispiele, auf globaler Ebene genauso wie auf individueller, auf ökologischer Ebene genauso wie auf sozialer:



  • Weltklimakonferenz 2015 in Paris, bei der zum ersten Mal ein Klimaabkommen von 195 Staaten dieser Erde, die sogenannten Global Player mit eingeschlossen, ratifiziert wurde.


  • Initiativen, wie Tauschbörsen, Food-Coops, Auto- und Wohnungs-Sharing, um an der Entlastung unseres Planeten im Kleinen mitzuwirken


  • Initiativen, wie „Singen, Stricken oder Kochen gegen die soziale Kälte“, um im Kleinen ein Zeichen zu setzen für ein besseres, menschlicheres Miteinander.


Doch ist das genug? Eine Frage, die wir letztlich nicht beantworten können, weil keiner die komplexen, globalen Zusammenhänge wirklich durchschauen kann. Eine Frage, die uns vor allem aber nicht der Verantwortung enthebt, das Beste zu tun, das wir im Augenblick erkennen können. Und dabei geht es nicht um ein entweder – oder, sondern um ein sowohl – als auch, um ganzheitliches Handeln, das die Ökologie wieder mit dem Menschen verbindet.



Das erfordert eine andere Art von Lösungen, eine Weisheit, die nicht allein im Denken verankert ist, sondern in Herz und Seele. Eine Haltung, wie sie vom norwegischen Philosophen Arne Naess in der Tiefenökologie vorgeschlagen wird. Inspiriert durch die Weisheit indigener Völker wird die Erde dabei als lebendiger Organismus betrachtet, den wir nur dann ganz erfassen können, wenn wir die Umwelt, wiederum menschliche und natürliche, in der Tiefe verstehen lernen, nicht nur in ihrer oberflächlichen materiellen Dimension. Und der spanische Religionsphilosoph Raimon Panikkar geht in eine ganz ähnliche Richtung, wenn er von Ökosophie spricht. Eine Verbindung von Ökologie und Philosophie, die die Welt als Gewebe begreift, in dem jedem Lebewesen eine Art der inneren Weisheit zugestanden wird.


In beiden Ansätzen sind der Einzelne, die Gesellschaft und die Natur nicht getrennt voneinander, sondern als holistisches Ganzes zu sehen. Wenn ein System krank ist, ist zugleich auch das andere krank und die Heilung des einen trägt gleichzeitig zur Heilung des anderen bei.


Autor: Johanna Bernhard


Bücherquellen:



  • Hampe, Michael: Jenseits des Umkehrpunktes - über die (Un-)Möglichkeit, eine narzisstische Gesellschaft zu verändern. in: Agora42, 01/2014

  • Lovelock, James: Gaias Rache; Warum die Erde sich wehrt. München, 2007

  • Paech, Niko: Befreiung vom Überfluss; Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München, 2012

  • Panikkar, Raimon: Gott, Mensch und die Welt; Die Drei-Einheit der Wirklichkeit. Petersberg, 1999